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Wenn Mauern reden könnten

Zwischen 1851 und 1997 beherbergte das Pentridge Prison einige der notorischsten Kriminellen Australiens. 20 Jahre nach seiner Schließung entwickelt sich das Gefängnisareal in Melbourne zum neuen Herzen des Bezirks Coburg.

Noch vor einem Jahrhundert galt Coburg als Endstation: Die kriminellen Karrieren unzähliger Verbrecher endeten ab 1851 in Pentridge Prison. Nach über 140 Jahren wurde die Vollzugsanstalt im Norden von Melbourne 1997 geschlossen und wechselte in den kommenden Jahren mehrmals den Eigentümer. 20 Jahre nach seiner Schließung wird Pentridge neu belebt – doch nicht als Gefängnis, sondern als moderndes und aktives Zentrum des Stadtteils Coburg.

Wo einst Schwerverbrecher schliefen, aßen und arbeiteten, entstehen heute Wohngebäude, Shops und Büros. Kreative sollen einziehen und den Bezirk beleben. »Die Neuentwicklung des Pentridge Prison liegt uns sehr am Herzen. Tatsächlich war es das Erbe des Areals, das uns angezogen hat«, so der Projektentwickler Shayher.

1851 wurden die ersten Gefangenen nach Pentridge verlegt, das zu Beginn ein Camp aus Holzhütten mit schwachen Sicherheitsmaßnahmen war – die Anwohner der Umgebung waren entsetzt. In den kommenden Jahren wuchs Melbourne – und mit der Stadt wuchsen die Kriminalitätsrate und das Gefängnis: »Her Majesty’s Pentridge Prison« wurde zwischen 1857 und 1864 durch drei Barracken erweitert und bekam eine umlaufende Mauer. Ab 1870 verrichteten die Gefangenen Arbeit in der gefängniseigenen Wollspinnerei, Schneiderei, in der Schmiede oder der Holzwerkstatt. 1884 entstand ein in sich abgeschlossenes Frauengefängnis innerhalb von Pentridge, dessen Insassen allein von weiblichen Vollzugsbeamten kontrolliert wurden.

Ausbruchsbersuch und Feuer

1967 wurde Ronald Ryan als letzter Gefangener Australiens im D-Block des Pentridge Prison exekutiert. Das Justizsystem in Australien wurde reformiert und Pentridge zog mit einem Aufstand seiner Insassen 1970 ungewollte Aufmerksamkeit auf sich. Dem Gefängnis mangelte es außerdem nicht an spektakulären Ausbruchsversuchen. Der 1980 errichtete Hochsicherheitskomplex Jika Jika sollte Erleichterung und modernere Standards bringen. Er wurde schon acht Jahre später wieder geschlossen, nachdem fünf Insassen bei einem Feuer im Komplex ihr Leben verloren. Der Wandel war nicht mehr aufzuhalten: 1997 schloss Pentridge seine Tore.

Im Hinblick auf die Geschichte des Ortes fand der Vorschlag der Projektentwickler, Teile der Anlage abzureißen um Platz für Neubauten zu schaffen, nicht nur Zuspruch. Doch Shayher betont, das Erbe des Areals sehr ernst zu nehmen. »Wir wollen diesen historischen Schatz so konservieren und für die Gemeinde öffnen, dass er jahrzehntelang genutzt werden kann.«

Eines der ersten realisierten Projekte sind die von PRO-ARK entworfenen »Coburg Horizons«, die im Februar 2017 fertiggestellt wurden. Das Büro fokussiert sich seit über zwanzig Jahren auf Architektur und Innendesign. »PRO-ARK hat die einzigartige Geschichte von Pentridge recherchiert und ein Design entwickelt, das dessen Erbe, eine Antwort auf das Areal, Nachhaltigkeit, architektonischen Ausdruck und unternehmerische Tragfähigkeit vereint«, sagen die Architekten Mario Duvnjak und Partner Danny Chiang.

Coburg Horizons sind zwei Wohngebäude mit luftigmodernem Look. Auf je sechs Etagen erstrecken sich 53 Apartments mit wahlweise zwei oder drei Schlafzimmern. Die Wohnungen in den oberen Etagen verfügen über private Balkons, von denen aus die Bewohner einen Blick auf die Skyline von Melbourne und die Dandenong-Bergkette haben.

Historische Fotos der Häftlinge

Geschäftsführer Duvnjak und sein Partner Chiang waren bei der Planung mit der Frage konfrontiert, wie sie die Geschichte des Areals mit ihrem Projekt vereinbaren würden. Die Architekten entschieden sich, die in Pentridge verbauten Basaltsteine sprichwörtlich zum Grundstein ihres neuen Entwurfs zu machen: Sie bilden den unteren Teil der Fassade beider Gebäude, in denen die Parkplätze der Anwohner untergebracht sind. »Form, Textur und das reine Material der Basaltsteine spielen nicht nur eine bedeutende Rolle in der Fassade der zwei neuen Gebäude, sondern sind zum herausragenden Element geworden, das mit den modernen dekorativen Panels interagiert.« Die Panels sind mit historischen Fotos gestaltet, die die ehemaligen Häftlinge bei der Arbeit zeigen.

Oberhalb der Mauerwerks-Optik schließen sich Wohngebäude mit betont luftigem Design an, das von Glas und einer strukturierten Betonfassade dominiert wird. Mithilfe von RECKLI-Matrizen wurde ein Naturmuster in den Beton geprägt, das an gebogene Grashalme erinnert. Das Naturmotiv lockert die Fassade des Gebäudes auf und verleiht ihm zusätzlich Ausstrahlung. Intensiviert wurde der Effekt durch einen Anstrich mit dem Farbsystem NAWKAW. Anders als ein Anstrich dringt NAWKAW tief in den Beton ein und färbt ihn nachhaltig. Gleichzeitig versiegelt das System die Oberfläche gegen Witterungsbedingungen. So wird nicht nur der schädliche Effekt von Wasser begrenzt, sondern auch verhindert, dass sich Schmutzpartikel im Mauerwerk absetzen. Durch die Färbung wurde die moderne Betonfassade farblich an den Basalt angepasst.

Die mit Bedacht gewählten Elemente des Gebäudes versöhnen Geschichte und Moderne in Pentridge. »Coburg Horizons« ermöglicht nicht nur den Blick auf die umgebenden Schönheiten der Stadt, sondern auch die Erweiterung des eigenen Horizonts.

Objektdetails

Projekt
Coburg Horizons

Ort
Melbourne, Australien

Architekt
PRO-ARK

Design
2/208 Volta, 2/186 Dalarna, Versiegelung mit NAWKAW

Fotos
David Fowler Photography, Bianca Conwell