Themen

Mit eigener Energie ans Ziel

Der Klimawandel verlangt von Architekt:innen ein anderes Bauen. Statt auf Design-Details zu schauen, denkt das norwegische Büro Snøhetta klimafreundliches Bauen von Grund auf neu. Die Powerhouses des Büros sind ganzheitliche Lösungen. Sie produzieren mehr Energie als sie verbrauchen, ohne Abstriche beim Design zu machen. Die Powerhouses müssen als Plusenergiehäuser den Härtetest in Norwegen bestehen. Baumschlager Eberle wendet das Konzept Plusenergiehaus in Frankreich an. Das Green Office® Enjoy führt unter anderem mit der innovativen Symbiose aus Beton- und Holzbauweise zum Ziel, mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen.

Das skandinavische Büro Snøhetta geht mit seinen Powerhouses neue Wege, um auf den Klimawandel zu reagieren. Baumschlager Eberle setzen beim Green Office Enjoy auf die Symbiose von Materialien. Zwei Case Studies.

Powerhouse Brattørkaia, © Ivar Kvaal

Innenhof und Stadtansicht, Powerhouse Brattørkaia, © Ivar Kvaal

Der Klimawandel ist auf dem Vormarsch – Absichtserklärungen für klimafreundliches Bauen reichen nicht mehr, findet Kjetil Trædal Thorsen, Mitgründer des norwegischen Architekturbüros Snøhetta. Architekten müssten ihre Fähigkeiten nutzen, um sich auf neue Realitäten vorzubereiten. Realitäten, in denen das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, verfehlt wird.

„Wir werden die 1,5 Grad nicht erreichen. Ich würde behaupten, dass wir auch 2 Grad nicht erreichen und wahrscheinlich nicht einmal 3 Grad. Wir müssen uns auf 4 Grad einstellen. Das Ökosystem und die ökologischen Barrieren für Umwelt und Mensch sind etwas, auf das wir uns vorbereiten müssen. Wir müssen für eine Situation des Scheiterns planen“, sagte Thorsen in einem Interview mit dem Architekturmagazin dezeen.

Thorsen mag pessimistisch, beinahe apokalyptisch klingen, aber aktuelle Studien deuten in die gleiche Richtung: Der jährliche Emissions Gap Report des UN Environment Program (UNEP) warnte vergangenes Jahr, das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens rutsche außer Reichweite. Manche Experten glauben, dass das Ziel nur mit einer massiven und unverzüglichen Abwendung von fossilen Brennstoffen machbar sei – ein Schritt, der in zahlreichen Ländern noch immer undenkbar ist.

Powerhouse Brattørkaia in Trondheim, © Ivar Kvaal

Plusenergiehaus in herausfordernder Umgebung

Innenansicht, Powerhouse Brattørkaia, © Ivar Kvaal

Snøhetta, 1989 in Oslo gegründet, entwickelt deshalb ganzheitliche Lösungen. In Kooperation mit dem Bauunternehmen Skanska, der Umweltorganisation ZERO, dem Projektentwickler Entra und dem Ingenieurbüro Asplan Viak hat Snøhetta das Powerhouse-Konzept erdacht:

Ein Gebäude, das 50 bis 60 Prozent mehr Energie produziert als es konsumiert, inklusive Bau und Abriss sowie Energiebilanz der verbauten Materialien.

Um den Beweis anzutreten, dass ihre Vision möglich ist, haben sie das Powerhouse Brattørkaia an einem besonders herausfordernden Ort gebaut: Brattørkaia wurde 2019 in Trondheim fertiggestellt und ist das nördlichste energiepositive Gebäude der Welt. Es besteht den Härtetest in einer Stadt, die im Dezember viereinhalb Stunden Tageslicht hat, im Juni hingegen mehr als 20 Stunden. „Das ist eine einmalige Gelegenheit, um zu untersuchen wie man Solarenergie unter herausfordernden Bedingungen ernten und lagern kann“, beschreiben die Architekten das Projekt.

© Ivar Kvaal
© Ivar Kvaal

Solarfläche und Innenhof, Powerhouse Brattørkaia, © Ivar Kvaal

Brattørkaia, ein keilförmiger Baukörper mit abgeschrägter Dachfläche, ist dem Hafen zugewandt und mit einer Fußgängerbrücke an den benachbarten Hauptbahnhof angebunden. „Das Baugrundstück wurde sorgfältig gewählt, um dafür zu sorgen, dass es maximal dem Sonnenlicht ausgesetzt wird“, so die Architekten. Dafür wurde das Dach abgeschrägt und mit seiner pentagonalen Form optimal zur Sonne ausgerichtet. Das Dach und der obere Fassadenbereich sind mit rund 3000 Quadratmeter Solarzellen bestückt.

Sie kreieren mehr als 500.000 Kilowattstunden über das Jahr verteilt und versorgen nicht nur den Bau selbst, sondern auch benachbarte Bauten, Elektrobusse, Autos und sogar Boote durch ein örtliches Stromnetzwerk mit erneuerbarer Energie.

Die Architekten vergleichen Brattørkaia mit einem kleinen Elektrizitätswerk mitten in der Stadt.

Die in den langen Sommertagen gewonnene Energie wird im Gebäude selbst in Batterien gespeichert, um sie in den dunklen Wintermonaten abzurufen.

Doch Thorsen und seinem Team ging es nicht allein um Energieproduktion. Ihr Anspruch war außerdem, den Energieverbrauch für den Betrieb des Gebäudes auf das Minimum zu reduzieren und sicherzustellen, dass die Nutzer sich nicht in einer rein funktionalen, sondern einer ästhetischen Umgebung aufhalten. Große Glasflächen und ein Lichthof sorgen für viel Tageslicht. Die Klimatisierung wird mithilfe kluger Materialauswahl und strategischem Einsatz erreicht: Das Skelett des Gebäudes besteht aus Beton mit niedriger CO2-Bilanz. Er fungiert als thermische Masse, indem er Hitze und Kälte absorbiert und speichert. Strategisch platzierte Ausschnitte in der Deckenverkleidung sorgen für die Luftzirkulation um den Beton, so dass das Gebäude ohne Elektrizität klimatisiert werden kann.

Zusätzlich wurde der Bau energetisch isoliert und ein Recyclingsystem für Abwasser und verbrauchte Luft installiert. Brattørkaia wurde mit dem BREEAM-Zertifikat für Neubauten ausgezeichnet, das Gebäude nach ihrer ökologischen und soziokulturellen Nachhaltigkeit bewertet.

Snøhetta kombinieren für das Powerhouse zahlreiche moderne Entwicklungen – sie alle existieren bereits und sind für sich genommen nicht über die Maße teuer, sagte Thorsen im Gespräch mit dezeen:

„Es ist also absolut möglich, vollständig CO2-negative Gebäude zu erreichen.“

Powerhouse Brattørkaia

Architekt:
Snøhetta

Ort:
Trondheim, Norwegen

BGF:
17.800 qm

Jahr:
2012-2019

© Ivar Kvaal

Bestandsgebäude als Powerhouse

Powerhouse Kjørbo, © Chris Aadland

Das gilt für Neubauten wie auch für den Bestand, denn ohne eine Umrüstung bestehender Gebäude ist klimafreundliche Architektur nicht komplett. Bevor Snøhetta mit Brattørkaia das erste eigenständige Powerhouse baute, wandten sie ihre Philosophie etwas außerhalb von Oslo an: Aus zwei Bürogebäuden Jahrgang 1980 entstand 2012 bis 2014 das Powerhouse Kjørbo. Beide Gebäude mit ihren jeweils 2600 Quadratmetern Fläche verbrauchten vor dem Umbau jährlich rund 250 Kilowattstunden pro Quadratmeter.

Beim Umbau erhielten die Architekten die Betonstruktur im Inneren und recycelten die alten Fenster des Außenbereichs als Raumtrenner im Inneren. Treppenhäuser dienen als Ventilationsbereiche, und die Büroflächen wurden mit offenem Grundriss modern aufgeteilt und gestaltet. Die Farbe weiß und Fensterflächen, die das Gebäude umspannen, sorgen für eine angenehme Atmosphäre. Neben einer Isolierung und Sonnenschutz außen sorgen Sichtbetonflächen innen für die Klimatisierung des Gebäudes. Seit dem Umbau ist der Energiebedarf dramatisch gesunken. Gedeckt wird er von Solarpanelen auf dem Dach, die jährlich 41 Kilowattstunden pro Quadratmeter produzieren.

Powerhouse Kjørbo

Architekt:
Snøhetta

Ort:
Baerum, Norwegen

BGF:
5200 qm

Jahr:
2012-2014

Symbiose aus Betonsockel und Holzbaukörper

Green Office® Enjoy, Paris, © Luc Boegly

Dass Plusenergiehäuser auch in Mitteleuropa machbar sind, beweist das Green Office® Enjoy in Paris. Als erstes Bürohaus in Paris produziert es mehr Energie als es konsumiert. Entworfen hat den mehrfach ausgezeichneten Bau das österreichische Büro Baumschlager Eberle in Kooperation mit dem französischen Studio Scape.

Unter ihrer Ägide entstand ein Gebäude, das die beiden Materialien Beton und Holz innovativ verbindet.

Green Office® Enjoy markiert den Eingang des Stadtentwicklungsprojekts Clichy-Batignolles, einem ökologisch nachhaltigen Distrikt in Paris. Dem Straßenverlauf folgend, präsentiert sich der Bau mit zwei Baukörpern und einer sanft geknickten Fassade. An zentraler Stelle ragt ein dritter Baukörper beinahe im rechten Winkel aus ihnen heraus.

Betonsockel, Green Office® Enjoy, © Luc Boegly

Der Bau stellt auf sieben Etagen 17.400 Quadratmeter Büroflächen zur Verfügung. Errichtet wurde das Green Office® Enjoy auf einer Eisenbahnunterführung. Ihre Betonkonstruktion dient als Grundplatte für den Bau. Darauf wurde ein Sockelgeschoss aus Beton errichtet, um die Schwingungen der durchfahrenden Züge zu absorbieren.

Dann folgte eine Symbiose: „Über dem Sockel erhebt sich eine klassische Pfosten-Riegel-Konstruktion aus verleimtem Schichtholz.  Die Geschossdecken bestehen aus Brettsperrholz und sind mit Trittschalldämmungen ausgestattet. Die Fassaden sind mit einem Massiv-Holzfachwerk, Grobspanplatten, Mineralwolle und abschließenden Aluminiumkassetten aufgebaut“, erläutern die Architekten.

Der Betonsockel garantiert Stabilität, die Holzbauweise reduziert das Gewicht des Baukörpers und gewährleistet die Tragfähigkeit des siebenstöckigen Aufbaus.

„Die nötige Gewichtsreduktion wäre auch durch zum Beispiel Stahlbauweise zu realisieren gewesen. Wir haben uns allerdings für das natürliche Baumaterial Holz entschieden, weil es sich um eine regenerative Ressource handelt, die den CO2-Footprint des Gebäudes deutlich reduziert“, sagt Architektin Anne Speicher.

Der Bauherr wollte von Anfang ein Plusenergiehaus. Allein der Einsatz von 2700 Kubikmeter Holz aus Skandinavien und Österreich war dafür natürlich nicht genug. Die Decken und eine adiabatische Lüftung regulieren den Wärmefluss im Inneren. Das Gebäude kommt ohne Klimaanlage aus und ist an das Pariser Fernwärmenetz angeschlossen. Bewusst haben die Architekten die Fensterflächen des Gebäudes reduziert, um eine Aufheizung des Baus im Sommer zu vermeiden. Die Fenster sind jedoch so platziert, dass großzügiges Tageslicht ins Innere des Bürogebäudes fällt.

Green Office ENJOY

Architekt:
Baumschlager Eberle, SCAPE

Ort:
Paris, Frankreich

BGF:
16.970 qm

Jahr:
2013-2018

Green Office® Enjoy, © Luc Boegly

Auf den weitläufigen Dachflächen wurde eine Photovoltaikanlage installiert. Sie erzeugt 22 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr und produziert damit mehr, als das Gebäude verbraucht, nämlich 19 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr.

Baumschlager Eberle plant bereits weitere Objekte mit Holzbauweise in Paris und hat zudem das Gebäudekonzept 2226 entwickelt: Gebäude in Massivbauweise dämmen und speichern Wärme oder Kälte, die Fenster sind strategisch platziert für viel Tageslicht und wenig Aufheizung. Eine smarte Gebäudesteuerung macht Lüftung, Kühlung und Heizung überflüssig, hält die Wohlfühltemperatur zwischen 22 und 26 Grad Celsius.

Die ganzheitlichen klimafreundlichen Entwürfe fassen für Bürogebäude zunehmend Fuß. Möglicher nächster Schritt: Ganzheitlich klimafreundliche Wohnviertel.

Innenansicht, Green Office® Enjoy, © Luc Boegly
Innenhof, Green Office® Enjoy, © Luc Boegly

An welchen Bau denken Sie beim Thema „Umbruch“? Schicken Sie uns Ihren Vorschlag!