Themen

Vermittler und Zeitzeuge

Jahrelang standen sich am Hamburger Stephansplatz das Kriegerdenkmal von 1936 und sein Gegendenkmal aus der Nachkriegszeit unversöhnlich gegenüber. Das kürzlich eingeweihte Deserteurdenkmal schlägt eine Brücke zwischen den Werken und erzählt vom Ringen um das Deuten historischen Unrechts.

Es ist ein grauer und windiger Tag im März 2016, als Volker Lang vor seinem Werk steht. Das von ihm entworfene Denkmal am Hamburger Stephansplatz ehrt die Opfer der Hamburger NS-Militärjustiz. „Desertion ist eine Widerstandsform, nicht nur Einzelschicksal“, sagt Lang. An diesem Gedanken setzt das Denkmal an, konzipiert als begehbares, gleichseitiges Dreieck: Die Betonwand mit historischen Informationen als Inschriften, die Klanginstallation zu 227 Opfern, zwei bronzene Buchstabengitter mit Auszügen aus der Zitatcollage „Deutschland 1944“ von Helmut Heißenbüttel. „Oft wird gesagt: Sehen Sie mal hier – ein echter Deserteur! Dabei geht es um die Werte, die hinter dem Desertieren stehen“, sagt Lang. Er meint: humane, ethische Werte. Ein brandaktuelles Thema also.

Langs Werk, eingeweiht im November 2015, steht zwischen dem Kriegerdenkmal von Richard Kuöhl von 1936 und dem unvollendeten Gegendenkmal von Alfred Hrdlicka aus den Achtzigern. Es soll eine Brücke schlagen zwischen den verschiedenen Zeiten und Perspektiven.

Konzipiert im Nazi-Pathos, ehrt das Kuöhl-Denkmal hamburgische Soldaten des Ersten Weltkriegs mit der Inschrift „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“. Nach Kriegsende wollten die britischen Besatzungsbehörden das Denkmal sprengen, doch der Hamburger Denkmalrat intervenierte mit dem Beschluss, stattdessen die umstrittenen Reliefs und Inschriften zu entfernen. Umgesetzt wurde dieses Vorhaben nie – stattdessen hielt die ablehnende Haltung der Hamburger gegenüber dem Denkmal sogar Einzug in ihre Sprache – im Volksmund ist es als „Kriegsklotz“ verschrien.

Späte und Diskussion um Deserteure

Ein Gegendenkmal sollte in den 80er Jahren die Gemüter beruhigen. Der österreichische Künstler Alfred Hrdlicka entwarf das „Mahnmal gegen den Krieg“. Dessen vier Teile sollten an den Hamburger Feuersturm, den Tod von KZ-Häftlingen bei der Versenkung der Cap Arcona, Soldatentod und das Frauenbild im Faschismus erinnern. 1986 wurde das Projekt aus Budgetgründen gestoppt. Nur zwei der vier Teile waren realisiert worden.

Mehr als zwei Jahrzehnte später der dritte Anlauf: Den beiden Mahnmalen sollte ein drittes beigestellt werden. Dass es zwei Jahre dauerte, bis das Vorhaben 2014 zum Wettbewerb ausgeschrieben wurde, zeigt, wie stark das Ringen um die Rehabilitierung von Opfern der NS-Militärjustiz bis heute immer noch ist.

Erst 2002 wurden die Urteile der Militärgerichte gegen Deserteure der Wehrmacht aufgehoben. Die Diskussion um Deserteure hatte erst in den Achtziger Jahren begonnen, berichtet Dr. Detlef Garbe. Der Direktor der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme wurde von der Kulturbehörde mit den fachlichen Recherchen für das Denkmal betraut. Erst 40 Jahre nach dem Krieg, so Garbe, löste man sich von der Vorstellung, die Militärjustiz sei ideologisch kaum vom Nationalsozialismus durchdrungen gewesen und habe sich an geltendes Recht gehalten. Als Mitte der Neunziger Jahre die Kriegsgeneration endgültig auf der öffentlichen Bühne abgelöst wurde, entstand eine neue Offenheit beim Umgang mit dem Thema. Die Aufklärungsarbeit zur NS-Zeit wurde weniger moralisch und emotional – und ermöglichte somit auch eine neue Betrachtung und Bewertung des Unrechts in der Militärjustiz. Der Freiburger Historiker Prof. Dr. Wolfram Wette brachte diesen Wandel unlängst in einer Rede auf den wissenschaftlichen Schlusspunkt, dass „das ‚kommunikative Gedächtnis’ sich in ein ‚kulturelles Gedächtnis’ verwandele.“

 

Buchstabenwände aus Bronze

Langs Denkmal zeugt von diesem Wandel: Ist der Entwurf von Hrdlicka anklagend und mahnend, zeigt sich das als Dreieck konzipierte Gebilde von Lang als leicht zugänglich – im räumlichen wie im wörtlichen Sinn. Die drei Wände umrahmen einen betretbaren Raum, der als Begegnungsort gedacht ist. Zwei der Wände bilden einen schwebenden Text aus Bronzebuchstaben – Auszüge aus Heißenbüttels verstörendem Gedicht „Deutschland 1944“. Die Buchstabenwände sind licht und geben je nach Standpunkt den Blick nach innen oder außen frei. Sie binden den Gedenkort so in sein Umfeld ein: mit Sicht durch die Texte hindurch auf Anti-Krieg-und Kriegerdenkmal, auf gestern und vorgestern.

Die Bronzewände wirken luftig, lasten jedoch mit zwei Tonnen auf dem darunter liegenden Tunnel der U-Bahnlinie U2. Die rückseitige, gefaltete Betonwand begrenzt den Raum östlich und schirmt ihn vom Lärm des vierspurig befahrenen Dammtordamms ab. Auf der Innenseite gibt eine Klanginstallation Auskunft über 227 Opfer der Hamburger Militärjustiz. Zu hören sind auch die im Denkmal abgebildeten und von Heißenbüttel persönlich eingelesenen Fragmente des Gedichts.

Inschriften in der gefalteten Betonwand informieren über das Denkmal und seinen Kontext. Realisiert wurden sie von RECKLI. „Die Herausforderung bestand darin, die Inschriften in den Beton einzubringen und die Leserlichkeit zu gewährleisten“, erzählt Stefan Besteher, technischer Verkaufsberater bei RECKLI. Die Inschriften wurden modelliert und per Computer in eine Datei für die CNC-Fräse umgewandelt, die sie in einen Plattenwerkstoff fräst. „Wir mussten die Buchstaben für die Faltwand in einer V-Fräsung darstellen. Andernfalls hätte es Blasenbildung im Sichtbeton gegeben und Luftlöcher zur Folge gehabt, die die Lesbarkeit beeinträchtigt hätten“, erklärt Besteher. Die fertige Matrize wurde nach Hamburg geliefert und kam am Standort des Denkmals im Ortbeton zum Einsatz.

Denkmal im Wandel

Zusätzlich realisiert RECKLI auch die Gestaltung der geplanten acht Stelen, die an verschiedenen Orten in Hamburg auf das Denkmal verweisen. Sie werden im artico-Verfahren gefertigt. „Damit können Texte und Bilder in Graustufen gut auf den Betontafeln dargestellt werden“, erklärt Besteher. Das Verfahren beruht auf Folien mit Betonverzögerern, die ein zeitlich versetztes Abbinden des Betons bewirken. Beim anschließenden Auswaschen der Oberflächen entstehen Hell-Dunkel-Effekte, die Schriften und Bilder hervortreten lassen.

Das fertige Denkmal ist indes bereits im Wandel: „Derzeit sind die Inschriften auf der Faltwand gut lesbar. Wir werden sehen, wie die Vertiefungen sich dank Witterung im Laufe der Zeit verfärben.“ Für den Künstler eine wünschenswerte Entwicklung des Denkmals, das so weiter in seine Umgebung einwächst – eine neue Etappe der Deutungen im Zeitlauf des Gedenkens.