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Harte Schale, weiche Formen

Seit 100 Jahren sind Polyester, Polyurethan, Acrylglas, Silikon und Epoxidharze aus der skulpturalen Kunst nicht mehr wegzudenken. Auch die Berliner Bildhauerin Miriam Lenk erschafft aus RECKLI-Epoxidharz eindrucksvolle Kunstwerke. Ein Atelierbesuch.

Sie ragt über 3,20 Meter in den Himmel und streckt dem Betrachter einen üppig geschwollenen nackten Körper entgegen. Die Janusfee thront auf einem Weinberg bei Dresden und macht ihrem Titel alle Ehre. Denn sie ist nicht nur mit zwei Mündern, sondern auch mit zwei Paar Brüsten ausgestattet. Nur das Doppel-Antlitz, das dem Begriff Januskopf seine Bedeutung gibt, fehlt. Nicht nur diese Leerstelle verleiht der Skulptur eine rätselhafte Ausstrahlung. Auch das sich um den prachtvollen Leib rankende detailreiche Gebilde aus kleinen Figuren und Pflanzen fesselt den Blick.

Entstanden ist die Janusfee im Atelier der Berliner Bildhauerin Miriam Lenk. Dort erhielt sie ihre üppigen Formen mithilfe von Silikon und Epoxidharz von RECKLI. Vom zwanzig Zentimeter kleinen Ton-Modell bis zum über drei Meter großen Kunstwerk aus Epoxidharz ist es ein aufwändiger – und in diesem Fall neunmonatiger – Weg.

In Lenks Atelier sind überall Spuren dieses Prozesses zu entdecken: Zunächst wird eine Positivform aus Ton gebaut. Zur Herstellung der Negativform wird die Tonfigur mit RECKLI-Silikon bestrichen, so dass eine etwa fünf Millimeter dünne Schicht entsteht. Einhundert Kilogramm dieses honigartigen Materials hat Lenk für die Janusfee verbraucht.

Das Material für die Negativform muss hohe Ansprüche erfüllen. Es muss einerseits flexibel genug sein, um vom Positiv leicht abgezogen werden zu können, andererseits muss es stabil genug sein, damit es sich beim Einbringen des Abgussmaterials nicht deformiert. Das Abgussmaterial ist in diesem Fall 140 Kilogramm RECKLI-Epoxidharz, das mit einem Härter im Verhältnis 4:1 vermischt wird. In diese Lösung werden stückchenweise Glasfasermatten getränkt. Mit vier dieser Lagen wird die Negativform dann ausgekleidet. Nach etwa einem Tag Trocknungszeit kann die Plastik weiterverarbeitet werden. Mit viel Körpereinsatz werden die in Einzelteilen abgeformten Elemente zur endgültigen Skulptur zusammengesetzt. Abschließend erhält die Skulptur einen Feinschliff sowie einen Farbanstrich mit Alkydharzlack.

Epoxidharze haben sich in der skulpturalen Kunst bewährt: Sie haben eine ausgezeichnete Wasser- und Chemikalienbeständigkeit, eine sehr hohe Festigkeit, schrumpfen kaum und sind weitaus weniger geruchsintensiv als z.B. Polyesterharze. Mit ihnen lassen sich zugleich strapazierfähige, als auch elastische Schalen herstellen. Gerade dünnwandige Gebilde profitieren von dieser Mischung. Denn auch zarte und lichtdurchlässige Objekte lassen sich damit verwirklichen. Zudem sind sie witterungsbeständig und eignen sich optimal für Kunstwerke im öffentlichen Raum.

Lenk schätzt am »Epoxi« das »unschlagbare Verhältnis von Stabilität und Gewicht«: Das Material ist leicht und dennoch sehr haltbar und schlagfest – zum Beweis schlägt sie mit einem Hammer gegen eine Skulptur. Außerdem ist Epoxidharz nicht nur weitaus günstiger als Bronze. Es lässt sich wegen des geringeren Gewichts auch alleine händeln – ein großer Vorteil bei Lenks ausladenden Werken.

Die Bildhauerin erschafft keine gefällige Wohlfühl-Kunst. Gerade ihre voluminösen weiblichen Figuren zwingen zur Auseinandersetzung und scheiden oft die Gemüter. Ihre Hingabe an die Schaffung außergewöhnlich beleibter Frauenkörper begann im Jahr 2008 mit Yolanda, die vor der Investitionsbank Berlin ihre Heimat gefunden hat. Damals war Lenk noch Studentin an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden. Yolanda war zwar schon mit ausladenden Hüften konzipiert. Dass sie am Ende über eine Tonne Ton auf den Hüften hatte, bezeichnet Lenk als »magischen Prozess«. Auf einmal hatten sich ihre Gedanken und Gefühle in diese riesige Menge Ton verwandelt, so »dass sie eine haptische Realität wurden«, so die Künstlerin. Sie spürte, dass dies ihre künftige Formsprache werden würde: Frauenkörper, die dem geläufigen Schönheitsideal ihre überbordende Leiblichkeit entgegensetzen. Die Lenk-typische Verbindung von Üppigkeit und verspieltem Detailreichtum bezeichnete ihr Professor als »Barock-Pop«.

Yolanda und ihre Nachfolgerinnen waren auch überdimensioniert, entsprachen aber dennoch der menschlichen Anatomie. Höhe- und zugleich Endpunkt dieser Entwicklung war Cumulus, ein raumsprengender Frauenakt, gewaltig, provokativ und zugleich einnehmend. Man kann sich dieser intensiven Kunstwerke nur schwer entziehen.

Inzwischen werden Lenks Skulpturen filigraner, vegetativer, sie entkörpern zusehends. Bestimmte anatomische Details fehlen, stattdessen werden Münder, Bäuche oder die Scham besonders plastisch ausgearbeitet.

Aktuell arbeitet Lenk an einer 3,80 Meter hohen Säule. Eine Collage aus abstrahierten Pflanzen, hybriden Körperformen und Materialstrukturen, für die sie erneut auf Silikon und Epoxidharz von RECKLI vertraut.

Kunststoffe in der plastischen Kunst

1916 gestaltet der russische Bildhauer Naum Gabo die erste Plastik aus dem Kunststoff Rhodoid. Die kubistische Kopfplastik trug den Titel »Tête No. 2«.

1937 Moholy-Nagy gründet in Chicago »The New Bauhaus«. Hier schuf er mittels transparenter Plexiglasplatten dreidimensionale Objekte.

1948 Der französische Maler und Bildhauer Samuel Guyot, genannt Saint-Maur, gestaltet mit der Skulptur »Femme assise« das weltweit erste Polyesterharzkunstwerk.

1958 Der deutsche Bildhauer Uli Pohl erschafft als erster Künstler lichtplastische Skulpturen aus kompakten Acrylglasblöcken.

1961 Im Toulouser Kunststoffmuseum gibt es die »Erste internationale Ausstellung von Gemälden, Skulpturen und Objekten der dekorativen Kunst in Vinyl und Polyester«.

1968 Auf der documenta in Kassel installieren Christo Jawaschew und seine Ehefrau Jeanne-Claude am 3. August ihre »Luft-Verpackung«, das größte jemals aufgeblasene und ohne Innengestell auskommende Kunstwerk, bestehend aus PVC-beschichtetem Treviragewebe.

1998 Im Rahmen der Eröffnungsausstellung des Deutschen Kunststoff Museums in Düsseldorf, eröffnet am 22. Oktober die Sonderausstellung »Kunst und Kunststoff«.

2009 Vom 20. Oktober 2009 bis 24. Januar 2011 findet im Kölner Museum für Angewandte Kunst die Ausstellung »Kunst-Stoff: Materialrevolution für Design + Kunst« statt.