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Neues Potential für Sichtbetonfassaden

Infraleichtbeton eröffnet Architekten eine neue Art des Bauens. Bei geringem Gewicht ermöglicht er optimale Wärmedämmung und wird auch optisch hohen Ansprüchen gerecht. Ein Gastbeitrag von den Forschern der TU Berlin.

Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit gewinnen allgemein, insbesondere aber im Bauwesen immer mehr an Bedeutung. Gesetzliche Regelungen zur Energieeinsparung beim Betrieb von Gebäuden zwingen dabei der Architektur Grenzen auf. Gängige mehrschalige Systeme wie Wärmedämmverbundsysteme schränken Gestaltungsmöglichkeiten ein, gehen mit komplexen konstruktiven Details einher und stehen zum Teil hinsichtlich Recycling und Brandverhalten in der Kritik. Die Realisierung von ästhetisch hochwertigen Sichtbetonfassaden auf Basis von Normalbetonen wiederum bedingt aufwändige Konstruktionen mit Zwischen- oder Innendämmung. Schon seit Längerem existieren daher Tendenzen hin zu einer monolithischen Bauweise, bei der ein einziges Material sowohl den Lastabtrag als auch die wärmedämmende Funktion übernimmt. Die Vorteile liegen auf der Hand: durch die einschalige Konstruktion entfallen Arbeitsschritte für zusätzliche Dämmschichten, Anschlüsse werden einfacher, das gesamte System robuster und langlebiger. Häufig bieten monolithische Bauweisen auch eine größere Diffusionsoffenheit und damit positive Auswirkungen auf Raumklima und Nutzerkomfort.

Bei Bauten mit wenigen Geschossen und geringen Lasten können monolithische Systeme durch beispielsweise Mauerwerkssteine aus Leichtziegel oder Porenbeton beziehungsweise Wände aus haufwerksporigen Leichtbetonen umgesetzt werden. Auch hier ist der architektonische Gestaltungsspielraum eingeschränkt. Eine Möglichkeit, die Vorteile der monolithischen Bauweise mit dem ästhetischen Potential von Sichtbetonfassaden zu verbinden, bietet der Dämmbeton. Dabei handelt es sich um einen konstruktiven Leichtbeton mit deutlich reduzierter Rohdichte, der aufgrund seiner geringen Wärmeleitfähigkeit sowohl Lastabtrag als auch Wärmedämmung leistet.

Dämmbetone sind nichts Neues, sie sind schon seit Jahrzehnten auf dem Markt. Jedoch wurde auch diese Bauweise durch die strikteren Energieeinsparvorschriften an ihre Grenzen gebracht. Die erforderliche Reduktion des Wärmedurchgangs durch die Außenwand geht entweder auf Kosten der Festigkeit, was die Anwendungsmöglichkeiten hinsichtlich beispielsweise Bauhöhen und Anzahl der Stockwerke einschränkt, oder führt zu unrealistisch großen Wandstärken.

Hier hebt sich Infraleichtbeton (Infra-Lightweight Concrete (ILC)) von anderen Dämmbetonen ab. Am Fachgebiet Entwerfen und KonstruierenMassivbau der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) entwickelt und erforscht Prof. Mike Schlaich seit nunmehr zehn Jahren das Material. Infraleichtbeton ist ein konstruktiver Leichtbeton, der aufgrund einer ungewöhnlich guten Kombination aus geringer Rohdichte und guter Festigkeit das Bauen mit Dämmbeton auch für mehrgeschossige Bauten wieder möglich macht. Je nach Entwurf ermöglichen dabei Wandstärken von circa 45 – 60cm die Einhaltung energetischer Vorschriften. Dies erschließt auch das gestalterische Potential von Sichtbetonfassaden für den mehrgeschossigen Wohnungsbau wieder neu.

DÄMMBETON FÜR MEHRGESCHOSSIGE BAUTEN

Die Anwendungsmöglichkeiten von ILC wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens INBIG– Infraleichtbeton im Geschosswohnungsbau (ZukunftBau, Bundesamt für Bau, Stadt- und Raumforschung) durch ein interdisziplinäres Team aus Architekten vom Fachgebiet Baukonstruktion und Entwerfen, Prof. Regine Leibinger, und aus Ingenieuren des Fachgebiets von Prof. Mike Schlaich untersucht. Hierzu wurden verschiedene Gebäudetypologien wie Baulückenschließung, Zeilenbau und Punkthaus betrachtet, exemplarische Entwürfe und konstruktive Details erarbeitet. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem werkstoffgerechten Bauen–das heißt den Entwurf hinsichtlich der spezifischen Eigenschaften des Baumaterials auszulegen. Beispielsweise ist es mit ILC-Wänden möglich, die Gebäudehülle beziehungsweise thermische Grenze flexibel über die Gebäudetiefe zu verschieben, andererseits sollte auf große Auskragungen verzichtet werden.

Konstruktive Anschlüsse können vergleichsweise einfach und damit robust gestaltet werden. Beispielsweise können Fenster mittig am Betonanschlag ohne zusätzliche Dämmung der Laibung platziert werden. Bei Einsatz eines ILC-Balkons an einer ILC-Außenwand kann auf eine sonst übliche thermische Trennung zwischen Balkon und innerer NormalbetonGeschossdecke verzichtet werden. Vor allem aber bietet das Material die freie Formbarkeit. Es ist damit also möglich, Elemente wie Balkone nicht als additive Strukturen an die Fassade anzusetzen, sondern sie als Teil der Fassade aus dieser heraus zu entwickeln.

Die Untersuchung der Gestaltungsmöglichkeiten der Oberfläche ergab vielfältigen Spielraum. Je nach Schalmaterial kann die natürliche Porosität des Materials dargestellt oder durch saugende Schalung oder Vlies eine annähernd porenfreie Oberfläche erzielt werden. Durch die gute Fließfähigkeit des Materials sind unterschiedlichste Schalungsstrukturen anhand von gefrästem Styrodur oder Reckli-Matrizen sehr gut abbildbar. Sogar ein Einfärben des ILCs ist möglich.

Nach jahrelanger Forschung ist Infraleichtbeton reif für die Praxis. Das Potential des Materials zeigt sich neben den zahlreichen Forschungsaktivitäten im In- und Ausland auf diesem Gebiet auch durch diverse, aktuell anstehende Umsetzungsprojekte. Die Vorteile der monolithischen Bauart hinsichtlich Robustheit und Dauerhaftigkeit kombiniert mit dem ästhetischen Potential der Sichtbetonfassade lassen hoffen, dass Infraleichtbeton einen Beitrag zu einer Baukultur mit Freiraum für vielfältige architektonische Ausdrucksformen leisten kann.

Text: Claudia Lösch, Alex Hückler, Mike Schlaich