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Von Endzeitstimmung zu Behaglichkeit

Sie sind trutzig, trostlos und erinnern an den Zweiten Weltkrieg. Einige Architekturbüros haben sich in den letzten Jahren auf eine Umnutzung von Schutzbunkern spezialisiert. So werden aus ehemals düsteren Bauten begehrte Vorzeigeobjekte.

Bodentiefe Fenster, durch die viel Licht auf Echtholzparkett fällt. Im Schlafzimmer begehbare Kleiderschränke, im Wohnzimmer ein Kamin und genug Platz für meterlange Tische. Über der freistehenden Wanne im Badezimmer öffnet sich durch das Oberlicht der blaue Himmel. Nichts erinnert mehr daran, dass hier einst Menschen Schutz vor Bombenangriffen suchten. Seit gut zehn Jahren dürfen Luftschutzbunker als Wohnhäuser, Restaurants oder Galerien umgenutzt werden und haben sich seither zu angesagten Immobilien entwickelt.

Mehr als 700 Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg stehen noch in deutschen Städten. Die massiven Gemäuer dienten einst der Zivilbevölkerung als Schutzräume. Noch bis nach der Jahrtausendwende standen die Gebäude unter Zivilschutzbindung und waren somit für den Katastrophenfall vorgesehen. Erst im Jahr 2007 hat die zuständige Bundesanstalt für Immobilienaufgaben einen Großteil der Schutzanlagen zum Verkauf freigegeben.

Damals schlug die Stunde der Bremer Architekten Rainer Mielke und Claus Freudenberg. Rainer Mielke hatte zuvor schon einen Bunker in Bremen-Schwachhausen zu einem Wohnhaus umgebaut. Auf der Suche nach einem Haus für sich und seine Frau war ihm der Betonklotz ins Auge gefallen: Es reizte ihn, aus diesem grauen Monolithen ein lebenswertes und ästhetisch reizvolles Domizil zu schaffen. Doch zunächst durfte Mielke lediglich ein Penthouse auf den bestehenden Bau setzen und im Bunker eine Galerie betreiben. Erst mit dem Wegfall der Zivilschutzbindung konnte er den Bunker selbst zu Wohnungen ausbauen.

Vom Betonblock zum Loftgebäude

Seither hat Mielke zusammen mit seinem Partner Claus Freudenberg Pionierarbeit geleistet. Neun Bunker haben sie inzwischen komplett renoviert, fünfzehn weitere sind projektiert.

In den letzten Jahren haben sich weitere Architekturbüros auf Bunkerumbauten eingelassen. In München transformierten raumstation Architekten gemeinsam mit dem Projektentwickler Euroboden einen Hochbunker an der Ungererstraße im Stadtteil Schwabing. Euroboden-Gründer Stefan F. Höglmaier hatte schon oft über die baulichen Möglichkeiten des Bauwerks nachgedacht, das mehr als nur eine Herausforderung bereithielt: Historisch belastet als Relikt aus nationalsozialistischen Zeiten, in Stadtrandlage an einem dicht befahrenen Autobahnzubringer, noch dazu denkmalgeschützt. Als die Bundesliegenschaftsverwaltung ihn 2010 öffentlich zum Kauf ausschrieb, ließ er seiner Fantasie gemeinsam mit dem Büro raumstation freien Lauf. »Wir haben von Anfang an daran geglaubt, dass es möglich ist, aus einem obsolet gewordenen Hochbunker hochwertige Wohn-Architektur und eine einzigartige Immobilie zu machen«, so Höglmaier.

Das Resultat nennt er »ein Kapitel Architekturkultur«: Aus dem nach außen hermetisch abgeschlossenen Betonblock ist ein Loftgebäude geworden. Im Erdgeschoss und im ersten Stock ist eine Galerie untergebracht, die drei darüber liegenden Etagen haben sich in moderne Lofts mit je 120 Quadratmetern Wohnfläche verwandelt, die vermietet werden. Die drei obersten Etagen sind ein Penthouse, in das Höglmaier – voller Begeisterung für die einzigartige Atmosphäre im Wohnbunker – selbst einzog.

Bunker Hannover

Architekten
Bunkerwohnen Rainer Mielke, Claus Freudenberg

Jahr
2011-2012

 

Bis aus den martialischen Trutzburgen allerdings luftige Lofts, schicke Penthäuser und attraktive Ausstellungsräume werden, ist es ein im wahrsten Wortsinne steiniger Weg. Statt Fenstern gibt es in den Schutzbauten nur Lüftungslöcher. Um Licht in die düsteren Räume zu bringen, müssen Tonnen um Tonnen Beton aus meterdickem Mauerwerk geschnitten und aus dem Gebäude geschafft werden.

Allein für ein zwei mal zwei Meter großes Fenster müssen zehn Tonnen Beton weichen. »Das war und ist auch die größte Herausforderung beim Umbau eines Bunkers«, so Rainer Mielke.

Da es kaum Erfahrungen mit dem Abbruch derartig gewaltiger Gebäude gab, mussten Mielke und Freudenberg zu Beginn herumexperimentieren. Schließlich entschieden sie sich für ein Verfahren, mit dem auch Marmor in den Steinbrüchen im italienischen Carrara abgebaut wird: Unter Zugabe von Wasser fräsen sich mit Industriediamanten besetzte Seilsägen durch das Gestein. Die gesägten Betonblöcke werden dann mit einem Spezialverfahren entsorgt. Im Nachgang werden diese Betonblöcke zerkleinert und als Untergrund für den Straßenbau verwendet.

Um einen Bunker in ein modernes Wohnhaus umzugestalten, müssen bis zu 1500 Tonnen Beton weggeschafft werden – mehr als ein normales Einfamilienhaus wiegt. Zur schieren Dicke der Mauern von bis zu zwei Metern kommt hinzu, dass im Beton Bewehrungsstahl verbaut wurde. Somit wird das Herausschneiden zu einer Präzisionsarbeit, die nur von speziell ausgebildeten Betontrenntechnikern ausgeführt werden kann.

Raffiniertes Lichtkonzept

In München machte Höglmaier ähnliche Erfahrungen. Rund 2000 Tonnen Material wurden während des Umbaus herausgesägt und abgebrochen. »Der Betonkern für die Wendeltreppe zwischen den oberen beiden Etagen alleine wog 35 Tonnen, was zu schwer für die darunterliegende Decke gewesen wäre. Deshalb musste er zersägt und in Teilen abtransportiert werden«, sagt der Projektentwickler. Ein technisch anspruchsvolles und zeitraubendes Unterfangen: »Insgesamt dauerte allein der Rückbau über ein halbes Jahr.«

Der Denkmalschutz brachte für die Architekten in München eine weitere Herausforderung mit sich: Das äußere Erscheinungsbild des Bunkers musste erhalten werden, deshalb konnte das Team keine Fenster in den Sockelbereich schneiden. Somit standen sie vor der Herausforderung, die Galerie im Erdgeschoss mit genügend Licht zu versorgen. Raumstation und Euroboden entwickelten ein raffiniertes Konzept für indirekten Lichteinfall: Ausstellungs- und Büroflächen wurden intern miteinander verbunden. Das Licht wird über große Fassadenöffnungen aus angeschrägten Fensterlaibungen im ersten Obergeschoss in die Tiefe geleitet.

Doch wer möchte eigentlich in einem ehemaligen Luftschutzbunker wohnen und warum? Für Höglmaier liegt der Reiz im gekonnten Miteinander von originaler Substanz und moderner Architektursprache. Die Neorenaissance-Elemente der Fassade wurden denkmalgerecht saniert und im Inneren verweist das Treppenhaus auf die Historie des Gebäudes als Luftschutzbunker. Die offenen Untersichte der brettergeschalten Betondecken lassen sprichwörtlich einen Einblick in die Geschichte des Gebäudes zu. Die beinahe raumhohen Fenster geben den Räumen Tiefe und Helligkeit und bieten den Bewohnern in allen vier Himmelsrichtungen einen Blick über München. »Außerdem entsteht bei zwei Metern Wandstärke in den großzügigen Nischen vor den neuen Fenstern eine Art Zwischenraum am Übergang von innen nach außen. Fensterlaibungen oder –bänke, wie es sie in dieser Dimensionierung nirgendwo sonst gibt: eine erweiterte Raumebene in der Wand«, sagt Höglmaier. Bei der Schwärmerei für die einzigartigen Details wird leicht nachvollziehbar, warum er sich während des Umbaus in das Projekt verliebte und auch selbst einzog.

Bunker München Schwabing

Architekt
euroboden, raumstation

BGF
1000qm

Jahr
2013

Bunker punkten mit ihrer Lage

Mielkes Kund:innen kommen aus allen Branchen: Es sind Paare, Familien, auch Senior:innen, die alle das Bedürfnis nach Individualität vereint. »Wir entwickeln Wohnungen, die keine tragenden Wände haben. Dadurch sind die Grundrisse frei verfügbar, wodurch die Räume ganz individuell angelegt werden können«, so Mielke.

Aber noch etwas Anderes sei entscheidend: »Bunker vermitteln Sicherheit und Geborgenheit«. Die Bewohner:innen würden sich hinter meterdicken Wänden einfach wohlfühlen. Wichtig sei aber, dass eine Wohnung in einem Bunker nicht nach einer Wohnung in einem Bunker aussehen darf, so der Architekt. So ein Bunker habe eben ein schlechtes Image. Nicht zuletzt daher werden die Fenster und Innenräume großzügig angelegt.

Auch die Lage spielt für viele Käufer:innen eine Rolle. Die Weltkriegsbunker wurden mitten in die Innenstädte gebaut, das macht sie heute zu Objekten in begehrten Wohngebieten. Und wie sieht es mit dem Umgang mit dem historischen Erbe aus? Mielke betont zwar, dass bei der Umnutzung die besonderen gestalterischen Möglichkeiten vordergründig seien. Aber in zweiter Linie erkennt man auch den geschichtlichen Wert des Gebäudes an. So werden mit dem Sandstrahlgerät die Betonoberflächen so bearbeitet, dass die alten Strukturen sichtbar werden. Manchmal bleibt ein Betonklotz bewusst wie eine Art Mahnmal vor dem neubelebten Bunker zurück: »Wir lassen immer was stehen«.

Fotos: Euroboden, hiepler, brunier, Olaf Mahlstedt, Christine Dempf Architekturfotografie