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Neu erblühte Schönheit
Der Wiederaufbau historischer Gebäude erlegt Architekt:innen gestalterische Zwänge auf. Details, Farbgebung und Materialeinsatz lassen jedoch Raum für Individualität. Das Hauptgebäude der Neuen Flora in Köln zeigt, wie Denkmalpflege und architektonisches Design einander perfekt ergänzen könne.
Das bewegte Zeitgeschehen der vergangenen 150 Jahre hat tiefe Spuren in der Geschichte der Flora in Köln hinterlassen. Das frühere Hauptgebäude des Botanischen Gartens in Köln, entworfen von den Architekten Max Nohl und Joseph Felten, wurde 1864 feierlich eröffnet. Ein für damalige Verhältnisse kolossales Gebäude aus Glas und Eisen, dem eine schlossähnliche Fassade aus Ziegel vorgesetzt war.
Angelehnt an die architektonische Gestaltung des Crystal Palace in London und an den Jardin d’Hiver in Paris, kombiniert die Flora Stilelemente aus den unterschiedlichsten Epochen.
Das Gebäude befindet sich im Zentrum einer weitläufigen, symmetrisch angelegten Gartenanlage, die Elemente des französischen und des holländischen Barocks, der italienischen Renaissance und des englischen Landschaftsstils verbindet.
Generalsanierung nach historischem Vorbild
© Sophia Maria Lanzinger
Die Gartenanlage und das Hauptgebäude wurden im 2. Weltkrieg stark zerstört, sodass in den Nachkriegsjahren der Anbau „Flora Tempel“ und die Eisenkonstruktion der Dachgewölbe des Glaspalastes abgerissen wurden. Da nach dem Krieg für einen stilgerechten Wiederaufbau die finanziellen Mittel fehlten, entschied man sich für eine kostengünstige Lösung, die nicht dem ursprünglichen Entwurf entsprach: Ein ziegelgedecktes Walmdach ersetzte das ehemalige Tonnendach aus Glas, auf die äußeren Türme wurden kleine Zeltdächer gebaut. Nach der vollständigen Restauration im Jahr 1980 wurde die Flora in die Denkmalliste der Stadt Köln aufgenommen.
Im Jahr 2009 beschloss der Rat der Stadt Köln die vorübergehende Schließung wegen erheblicher baulicher Mängel und entschied sich 2011 für die Generalsanierung des denkmalgeschützten Gebäudes nach historischem Vorbild. Die Stuttgarter K+H Architekten wurden mit der Planung und der Bauüberwachung beauftragt.
Das Büro hat viel Erfahrung mit Bauvorhaben im Denkmalbereich und wusste, dass die klassische Restaurierung nicht in Frage kam, weil die historische Substanz nicht mehr vollständig erhalten war.
Auch für die Variante der Rekonstruktion waren die Kriegsschäden zu umfangreich. Den Architekt:innen blieb nur der Nachbau der ursprünglichen Kubatur im Zusammenspiel mit der noch vorhandenen historischen Substanz.
Gemeinsam mit Stefan Lützenkirchen vom Denkmalamt Köln entschieden die Architekt:innen, die historische Kubatur und die Farbigkeit der Flora durch Ergänzungen im Bereich der fehlenden Gebäudeelemente wiederherzustellen. „Aufgrund der starken Kriegszerstörung ging es hier in erster Linie darum, das Objekt so wieder aufzubauen, dass die Ergänzungen nicht zu viel Raum einnehmen und so die noch vorhandene historische Substanz in Ihrer Wirkung erdrücken oder beschneiden würden. Die Gesamtheit der historischen Flora sollte wieder ablesbar werden“, sagt Lützenkirchen.
Im Zuge dessen wurde der Anbau auf der Nordseite komplett abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Mit dem dreijährigen Wiederaufbau verbunden war auch die Reorganisation des Gebäudebetriebes. Pünktlich zum 150-jährigen Jubiläum der Flora feierten 2014 Zehntausende Kölner:innen die Wiedereröffnung.
Entscheidenden Anteil am beeindruckenden Aussehen des Gebäudes hat die Rekonstruktion der Fassade und die Inszenierung der vorhandenen baulichen Fragmente: Teile der bestehenden Ziegelfassade und der Sandsteinbänderung mussten ergänzt werden.
„Da waren natürlich als Erstes Ziegel im Gespräch, da der Rest des Gebäudes auch aus Ziegeln besteht“, erklärt Wieland Egger, Projektleiter K+H Architekten. „Gemeinsam mit allen Beteiligten haben wir dann überlegt, welche Möglichkeiten uns andere Materialien erschließen.“ Die Architekt:innen wollten ein geschlossenes Erscheinungsbild und trotzdem die Rekonstruktion vergegenwärtigen und thematisieren. Gemeinsam mit dem Denkmalamt entschieden sie, die fehlende Fassade mit strukturierten Betonfertigteilelementen zu ergänzen. Peter Eschenauer, Geschäftsführer des Betonsteinwerks Peter Eschenauer empfahl RECKLI für die Oberflächengestaltung der Fassadenelemente.
"Fast schon Modellbaucharakter"
© Sophia Maria Lanzinger
In Absprache mit dem Denkmalamt und den Architekt:innen entwickelte RECKLI die Sondermatrize. Die Parameter, wie Matrizen- und Relieftiefe oder der Abstand der Kehlnuten, wurden mit Planer:innen und der Denkmalpflege besprochen, bevor die Modell- und Formenbauabteilung von RECKLI die Produktion des Modells im Maßstab 1:1 umsetzte.
In diesem Fall wurde eine individuell gefertigte Form mit einer vorhandenen Standardmatrize kombiniert, die sich an die vorhandene Ziegelstruktur annähert, sie aber nicht im Original wiedergibt. Es entsteht der Eindruck eines grob behauenen Ziegels. „Wir haben hierzu unsere Standardstruktur 2/159 Lugano verwendet und einen Positiv-Kunststoffabguss aus einem unserer Materialien auf unsere CNC Fräse gelegt. Mit einem Kehl-Fräser wurden dann in regelmäßigem Abstand die Kehlnuten eingefräst“, sagt Sven Kosjak, Leiter Modellbaukalkulation bei RECKLI.
Im Schalungsbau bei Eschenauer wurden dann die Matrizen in unterschiedliche Schalungen eingelegt, um so die Elemente zu fertigen. „Die Fertigteile waren in ihrer Form relativ komplex, da sie die vorhandenen Gesimse weitergeführt haben.“, sagt Eschenauer. Die stark profilierten Fertigteile waren sehr aufwändig zu schalen. „Das hatte schon fast ein bisschen Modellbaucharakter“, sagt Bernward Hentrich, der bei K+H Architekten die Bauabwicklung betreut.
Eschenauer erinnert sich: „Da war nichts von der Stange, jedes Teil ist mit einer anderen Geometrie gefertigt worden.
Insbesondere die Ausführungen der Gesimselemente und der Rundbogenfenster stellten höchste Anforderungen an den Schalungsbau.“ Die Matrizen wurden individuell angepasst und dann in die Schalung geklebt. Betoniert wurde mit einem eingefärbten Beton mit fünf Prozent Farbpigmenten, um den gewünschten Ocker-Farbton zu realisieren. Die rund 150 Fassaden- und Gesimselemente wurden nach dem Ausschalen gesäuert, so dass eine Naturstein-Optik entstand. Vor Ort wurden die Fassadenelemente mit Hängezugankern passgenau montiert.
Mit dem Ergebnis ist Lützenkirchen sehr zufrieden: „Die Gebäudeteile, die nicht mehr in ihrem historischen Volumen vorhanden waren, sind meines Erachtens gut umgesetzt worden.“ Die Horizontalfuge wurde bewusst versetzt, auf eine Vertikalfuge wurde ganz verzichtet. Die am Original hervorgehobenen Elemente wie Gesimse mit ihren Abtreppungen und Hohlkehlen, Fensterumrandungen und Ähnliches wurden an den Betonfertigteilen stark abstrahiert, um keine Konkurrenz zum Original zu schaffen und dennoch die historische Gliederung des Gebäudes in Gänze nachvollziehbar und erlebbar zu machen. Bei der Farbgebung ging es den Architekten darum, eine einheitliche, monochrome und zurückhaltende Oberfläche zu erzeugen. Sie entwickelt durch die tieferliegende Horizontalgliederung und den so entstehenden Schattenwurf einen eigenen Farbcharakter, der sich an den Hauptfarbton der historischen Fassade anlehnt“.
So wirkt die gesamte Fassade von Weitem einheitlich und homogen. Erst in der näheren Betrachtung und in der engeren Auseinandersetzung mit dem Material wird Betrachter:innen die Dualität von Historie und Moderne bewusst.