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Ein Blick hinter die Fassade

Mehr als 200 Betonstrukturen hat RECKLI im Portfolio. Für die Kreation neuer Designs lädt das Unternehmen regelmäßig Künstler und Gestalter ein, ihre Ideen auf einer Matrize zu verewigen. Die FORMLINER-Rubrik MADE BY stellt die Designer und ihre Arbeit vor. Zum Auftakt hat FORMLINER mit dem französischen Künstler Romain Taieb und dem deutschen Gestalter Matthias Hohmann gesprochen.

Wer seinen Worten lauscht, könnte glauben, Romain Taieb sei ein Dichter. So poetisch redet er über seine Arbeit, so viel Romantik steckt in seinen Worten. Es fällt leicht, sich vorzustellen, wie er in seinem Atelier in Montreuil, „dem neuen Brooklyn von Paris“, sitzt und dort seiner Arbeit nachgeht. Dort entwirft der Künstler seine Werke. Am Skizzenbrett brütet er über seine Entwürfe, entwickelt sie akribisch zum letztendlichen Produkt. Etwa die Dekoration, die er mit seinem Freund Martin Mc Nulty kürzlich für den Modemacher „Couturier“ umsetzte: Ein Baum aus Gips mit 14 000 Blättern aus Harz. Neben Skulpturen entwirft Romain Taieb Oberflächenstrukturen für RECKLI. Wie der Künstler seine Tätigkeit umfassend beschreiben soll, fragt sich Romain Taieb jeden Tag selbst. Für ihn greift der Begriff „Texturloge“ am besten. Er wurde von Jean Dubuffet, einem der wichtigsten Vertreter der französischen Nachkriegskunst, geprägt und umfasst all das, was Romain Taieb sein Handwerk nennt.

Der heute 49-Jährige studierte an der École nationale supérieure des Beaux-Arts de Paris. Dort entdeckte er die Bildhauerei und Mosaik-Arbeit für sich. „Ich entfloh den großen Theorien und Ideen der Kunst und begann mit der Texturarbeit und deren Anwendung“, erzählt Taieb. Jahre stellte er „großflächige Dekoration für Mode-Boutiquen“ her, bis er irgendwann anfing, sein Handwerk auf die Architektur anzuwenden. Den Einstieg in das Oberflächendesign verdankt er laut eigener Aussage Serge Rizzi und Eric Mortier von RECKLI, „da sie die Ersten waren, die das Potenzial für die Architektur gesehen haben.“ Die Inspiration nimmt der Künstler aus dem Alltag. „Alle Texturen, Oberflächen, die ich kreiere sind nicht lediglich Naturimitationen, sie kommen aus den Windungen meines Gehirns.“ Manchmal reicht schon ein einfacher Kundenwunsch, um die Kreativität des Künstlers anzustoßen. So wünschte sich vor geraumer Zeit ein Architekt eine leichte Welle um ein großes Becken einer Wasseraufbereitungsanlage zu verkleiden. „Ab diesem Moment stellte ich mir eine Sandskulptur vor, wie die Dünen an einem Strand, die ich spannungsgeladen mit einer Decke aus Satin abdeckte, unter welcher wir das Harz fließen ließen. Auf diese Idee wäre ich niemals ohne die Anfrage des Architekten gekommen“, so Taieb.

Neben individuellen Lösungen, entwickelt der Franzose auch immer wieder Strukturen für das Repertoire von RECKLI. 25 von 200 Oberflächenstrukturen stammen aus seiner Feder, die meisten von ihnen angelehnt an Muster aus der Natur: Wässriger Sandboden, gepresste Blätter, das dicke Fell eines Wildschweins, die raue Oberfläche eines Baums. Jedoch finden sich auch durch und durch abstrakte Strukturen zwischen den Werken des Künstlers. „2/188 Champagne“ stellt unterschiedliche große Quadrate dar, die aus der Wand herausragen oder in ihr versinken. Bei seiner Arbeit ist ihm der gesamte Prozess wichtig. Um ein optimales Ergebnis zu gewährleisten, investiert der Künstler gerne Zeit und recherchiert, lernt Menschen kennen, Architekten, Dekorateure. Schließlich begleitet er die Realisation der Matrize in der Fabrik. Allerdings weiß der Künstler auch um „die Einsamkeit der Atelierarbeit“. Die Arbeiten, bei denen er sich am meisten Zeit lassen kann, sind ihm dabei die liebsten: „Eine Textur zu kreieren ist eine große zu realisierende Dimension. Ich liebe langwierige Arbeit, handwerklich, die es zulässt, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Auf die Art und Weise wie Pénélope, auf die Rückkehr von Odysseus wartend, jeden Tag wieder anfängt Teppiche zu nähen.“

Auf einen Favoriten kann Taieb sich jedoch bei seinen Strukturen nicht festlegen. „Es handelt sich hierbei um keine Leinwände oder Kunstwerke der vollendeten Kunst. Sie haben viele Leben. Wenn sie von einem Architekten für ein Gebäude ausgesucht werden, handelt es sich jedes Mal um eine neue Kombination, die geboren wird.“ Wichtig ist für ihn nur die grundsätzliche Darstellung. Sie sollte zeitlos sein, von Bedeutung, ohne dabei aufdringlich zu wirken. „Eine Form zu erstellen, welche nicht vergessen wird, das ist eine gute Oberflächenarbeit. Eine gute dekorative Oberflächenarbeit zieht keine Blicke auf sich, sie lädt eher zu einer visuellen Reise ein.“

Doch so poetisch beflügelt Romain Taieb von seinen Arbeiten auch spricht, wer sie greifen, will muss sie sehen. „Das ist der beste Weg, meine Arbeit zu verstehen.“