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Atempause in der Stadt

Der Beton von morgen ist mehr als nur Baustoff oder Gestaltungsmittel. Angereichert mit Nanopartikeln reinigt er sich selbst und hilft beim Schadstoffabbau. Nach Einsätzen in Rom und Mexiko City gibt es mittlerweile auch in Deutschland erste Projekte.

Emissionsvorgaben, Umweltzonen, Elektroautos: Regierung und Industrie mangelt es nicht an Ideen, wie man Luftverschmutzung in Zukunft reduzieren kann. Doch was tun mit den Schadstoffen, die bereits in der Luft sind? Smarte Baustoffe wie photokatalytischer Beton können eine der Lösungen sein, die zur Entlastung der Umwelt beitragen.

Um die reinigende Wirkung zu erzeugen, werden dem Beton Nanopartikel zugegeben. Titandioxid (TiO2) ist ein Weißpigment, das sowohl Farben, Lacken und Beschichtungen als auch Zahnpasta und Sonnenmilch beigemischt wird. UV-Bestrahlung erzeugt eine chemische Reaktion, die Photokatalyse: Das Titandioxid wirkt als Katalysator, indem es organische Stoffe wie Schmutz oder Stickoxide in die wasserlöslichen Salze Nitrat und Nitrit umwandelt. Bei der Zugabe von Wasser – etwa beim nächsten Regenguss – werden die unschädlichen Salze von der Oberfläche abgespült. Die Katalyse sorgt für einen selbstreinigenden Effekt des Betons und verringert die Schadstoffkonzentration der umgebenden Luft.

Die Einsatzgebiete für smarten Beton sind vielfältig, besonders weil das Titandioxid seine katalytische Wirkung lange Zeit behält. Photokatalytischer Beton kann sowohl an Gebäuden als auch im Straßen- und Verkehrswesen verbaut werden.

Eines der ersten großen Bauprojekte mit photokatalytischem Beton findet sich in Italien. Die 2003 eingeweihte Kirche Chiesa di Dio Padre Misericordioso in Rom besticht einerseits durch ihre einzigartige Form: Der amerikanische Architekt Richard Meier entwarf einen 40 Meter langen Bau, dessen Schiff drei Segel von 17 bis 27 Metern Höhe gliedern. Andererseits beeindruckt das Gebäude mit seinem strahlend weißen Äußeren, für das photokatalytischer Beton der Firma Italicement eingesetzt wurde. Die beigemischten Titandioxid-Pigmente zersetzen witterungsbedingt auftretenden Schmutz und sorgen so für einen selbstreinigenden Effekt, der die Fassade über eine lange Zeit sauber hält. Unter derselben Prämisse wurde der smarte Baustoff auch an der Fassade des Air France Hauptquartiers in Paris-Roissy verbaut.

Zusätzliche Kosten, aufwändiger Nachweis

Der Einsatz mit dem klaren Ziel der Schadstoffzersetzung erfolgte hingegen lange Zeit nur zögerlich. Abgesehen von den zusätzlichen Kosten für den Einsatz des Spezialbetons ist die Zurückhaltung vor allem im schwierigen Nachweis des Nutzens begründet: Im direkten Vergleich müssen Schadstoffkonzentrationen auf photokatalytischen Betonoberflächen und auf Standardbetonflächen gemessen und einander gegenüber gestellt werden. Dafür müssen beide Flächen über identische Sonneneinstrahlung, Thermik und Schadstoffbelastung verfügen. Diese Rahmenbedingungen lassen sich außerhalb eines Labors nur schwer sichern – besonders, da die Konzentration von Schadstoffen in der Luft sehr volatil ist.

Ein Jahrzehnt nach dem Kirchenbau in Rom bewährte sich die Titanoxid-Beschichtung 2013 beim „Torre de Especialidades“ im chronisch smogverseuchten Mexiko City. Dennoch: Die Fassade ist nicht mit Beton, sondern mit beschichteten Kunststoffpanels gestaltet. Über 2500 Quadratmeter Fassadenfläche erstreckt sich eine Bienenwaben-Struktur, die mit nur zwei Elementen geformt wird. Die komplexe Struktur vergrößert die Oberfläche gegenüber einer planen Fläche um 200 Prozent und maximiert so den schadstoffreduzierenden Effekt.

Eines der frühen Projekte zur Schadstoffreduzierung in Deutschland war 2010 die Bepflasterung im Stadtkern von Fulda. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt unterstützte den Einsatz smarter Baustoffe zur Schadstoffreduzierung, nachdem Messungen im innstädtischen Bereich ergaben, dass die Luftverschmutzung den Jahresgrenzwert überschritt. Verbaut wurden AirClean-Pflastersteine von Nüdling-Betonelemente, die mit Titandioxid beschichtet sind. Das Unternehmen entwickelte mit Unterstützung des Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie eine eigene Rezeptur für die Steine, die Stickstoffoxide je nach Witterungsbedingungen um durchschnittlich 20 bis 30 Prozent reduzieren.

 

Beschichtung vs. in-Masse-Verarbeitung

Während die in Fulda eingesetzten Pflastersteine mit Titanoxid beschichtet sind, entschied man sich bei Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Detmold für die In-Masse-Verarbeitung: Dafür wird das Titanoxid dem gesamten Beton beigemischt, statt nur auf die Oberfläche aufgetragen. Diese Verarbeitung macht den Beton witterungsbeständiger und widerstandsfähiger gegenüber mechanischer Belastungen, wie sie im stark befahrenen ZOB zu erwarten sind.

Der 2013 eingeweihte ZOB in Detmold ist ein lohnenswertes Versuchsfeld: Er umfasst rund 7000 Quadratmeter, verfügt über 11 Bussteige und wird täglich von 800 Bussen angefahren, die für eine enorme Schadstoffbelastung sorgen. Die Verantwortlichen entschieden, beinahe die gesamte Fläche des Busbahnhofs mit photokatalytischem Beton und Titandioxid-Pflastersteinen auszustatten. Das deutsche Unternehmen HeidelbergCement lieferte den Spezialzement TioCem für die In-Masse-Verarbeitung auf der Betonfläche. Die gepflasterten Flächen wurden mit den Pflastersteinen Airlean der Karl Vogt Betonwerk Porta Westfalica GmbH ausgerüstet. Tritt eine Beschädigung auf, wird der gesamte Stein ausgetauscht.

Neu ist in Detmold auch der Wirkungsnachweis: Die beteiligten Wissenschaftler der Hochschule Ostwestfalen-Lippe entschieden sich für eine indirekte Beweisführung: Dafür konzentrierten sie sich nicht mehr auf die Stickstoffe in der Luft, sondern auf die Abfallprodukte der Photokatalyse im abfließenden Wasser: Da das Titandioxid die Schmutzpartikel in Salze umwandelt, ist der Nitrat- und Nitrit-Gehalt im abfließenden Wasser der photokatalytischen Betonflächen höher als bei den Standardbetonflächen. Die Forscher legten verschiedene Versuchsflächen an, an denen sie das abfließende Regenwasser sammelten. Zusätzlich wurde am ZOB Detmold eine Klimastation eingerichtet, die wesentliche Klimadaten und Stickoxid-Konzentrationen misst und eine genauere Datenkorrelation ermöglicht.

Nach der Einweihung des ZOB sammelten die Forscher bis Dezember 2014 Klimadaten und insgesamt 1329 Wasserproben, deren Nitratgehalt vom Fraunhofer Institut analysiert wurde. Die im Sommer 2015 veröffentlichte Auswertung ergab eine höhere Salzkonzentration im Ablaufwasser der Photokatalyse-Flächen im Vergleich zum Standardbeton. Die Wissenschaftler prognostizieren eine Reduktion der Schadstoffe um bis zu 20 Prozent. Der nächste logische Schritt für das Team: Die Anwendung von photokatalytischem Beton im Straßenverkehr.

 

Foto: © Astrid & Falko Sieker | Rolf Dekker